Auch das Warten will gelernt sein
Im Herbst 2024 von Dr. Luis Fuchs
Wir warten an der Ampel, am Bahnhof, an der Kasse des Supermarkts. Der Durchschnittsamerikaner wartet jährlich 68 Stunden am Telefon. Als Jugendliche warteten wir ungeduldig auf die Volljährigkeit (damals mit dem 21. Lebensjahr), gegen Ende des Berufslebens dann auf den Ruhestand. Wir warten vielleicht auch auf bessere Zeiten.
Das Warten will gelernt sein, wir haben ja auch gelernt, das Warten zu feiern. Die Adventzeit, meint der Autor Armin Nagel, sei beispielsweise eine „gestaltete Wartezeit“. Die erste Kerze brennt, eine Woche später die zweite, dritte, vierte; es sei eine „Choreografie des Wartens, die auf eine Krönung hinausläuft.“ Am 1. Dezember feiern wir heuer den 1. Adventsonntag. Advent ist die Zeit des Wartens und Vorbereitung auf die Ankunft (lat. „adventus“) des Erlösers. Das Warten ist ein wesentlicher Aspekt dieser rund vierwöchigen Zeit im Dezember. Der Advent bietet uns also eine gute Gelegenheit, uns in der Kunst des Wartens zu bewähren.
Wer im Voraus überzeugt ist, dass sich das Warten lohnt, kann dies als Vorfreude empfinden. Je wertvoller das Warteziel ist, desto geduldiger sind die Wartenden. Luxusanbieter machen es sich zunutze: Hermes-Handtaschen sind beispielsweise erst in zwei bis drei Jahren lieferbar. Auf bestimmte Modelle der Rolex-Uhren warten Kunden bis zu 20 Jahre. Als Warte-König hat sich Prinz Charles erwiesen: Erst mit 73 Jahren konnte er die Thronfolge des Vereinigten Königreichs antreten.
Das Higgs-Boson, auch als „Gottesteilchen“ bekannt, wurde nach dem britischen Physiker Peter Higgs benannt. Er stellte 1964 zusammen mit anderen Physikern eine Theorie auf, die zum Nachweis dieses Teilchens führte. Es wurde erst 2012 am europäischen Kernforschungszentrum CERN entdeckt. Dem theoretischen Physiker wurde 2013, also nach fast 50 Jahren, der Physiknobelpreis zuerkannt; heuer ist er am 8. April im Alter von 94 Jahren verstorben.
Der Komponist John Cage hat das Warten zelebriert. Das langsamste Musikstück der Welt heißt ASLSP und wird seit 2001 an einer Orgel in Halberstadt aufgeführt. ASLSP steht für „As Slow As Possible“, auf Deutsch „So langsam wie möglich“. Erst nach 639 Jahren, also im Jahr 2640 wird es enden; es sind Töne für 25 Generationen, ein Stück somit für die halbe Ewigkeit.