Sophie Erhart
am Ansitz Pflanzenstein in Obermais, eine unbekannte Stifterin
Im Herbst 2024 von Dr. Walter Egger
In Zeitungs- und Internetbeiträgen, mitunter auch in geschichtlichen Publikationen, liest man, dass der Ansitz Pflanzenstein von den Pallottiner Patres im Jahr 1941 „erworben“ oder „gekauft“ worden wäre. Nachweislich korrekt hingegen ist, dass der Orden den Ansitz als Schenkung von Sophie Erhart erhalten hat. Der Name der großherzigen Gönnerin wird meistens nicht oder allenfalls nur am Rande erwähnt.
Familie
Geboren wurde Sophie Erhart 1880 als zweites von fünf Kindern des Holzschnitzers Josef Erhart und der Aloisia Kofler im Haus des Großvaters Jakob Kofler in den oberen Berglauben, heute Nr. 78 und 80 (Mahlknecht-Haus). Ihre jüngeren drei Geschwister starben noch in den ersten Lebensmonaten, auch die Mutter verschied im jungen Alter von nur 23 Jahren. Der Witwer heiratete nicht wieder, daher wuchsen Sophie und ihre ältere Schwester Josefa wohl im Laubenhaus der Großeltern auf. Der von Imst gebürtige Vater Josef Erhart war 1862 in Meran sesshaft geworden, alsbald trat er hier dem Katholischen Gesellenverein bei, wo er in der Folge viele Jahre als Vorstandsmitglied tätig sein sollte. Das Theaterspiel hatte es ihm besonders angetan. So war er in den 1860er- bis 1880er-Jahren eine ständige Figur auf der Bühne des Gesellenvereins. In den Meraner Volksschauspielen, die sein enger Freund Karl Wolf leitete, wirkte Erhart vom Anfang 1892 bis zum Ende 1914 in führenden Rollen und als vorzüglicher Spieler mit. Seine stämmige Gestalt mit weißgrauem Patriarchenbart war allbekannt. Er starb 1926 im Ansitz Pflanzenstein.
Pflanzenstein in neuem Glanz
Am 27. Februar 1907 berichtet „Der Burggräfler“, dass Josef Erhart den Ansitz Pflanzenstein für seine Tochter Sophie käuflich erworben hat. Der neue Besitzer werde das Gebäude innen und außen seinem historischen Charakter entsprechend restaurieren lassen und den Ansitz im Februar 1908 übernehmen. Tatsächlich wird der Kaufvertrag erst im Februar 1908 abgefasst und die Tochter Sophie als alleinige Eigentümerin ins Grundbuch eingetragen. Nach außen erscheint trotzdem der Vater als Besitzer und Bauherr. In seinem Auftrag wird der heruntergekommene Bau umfassend erneuert und das Dachgeschoss zu Wohnräumen umgestaltet. Dabei kommen im Inneren und an der Südfassade des Hauses Fresken aus dem Jahr 1565 zutage, mit deren Freilegung und Ergänzung der damals noch junge Künstler Cassian Dapoz betraut wird. So erhielt der Ansitz 1908 die heutige stattliche Gestalt, die mit der dekorativ bemalten Fassade und ihren historisierenden Stilelementen seither das Ortsbild prägt. Das Foto von 1905 dokumentiert hingegen noch den alten, eher bescheidenen Baubestand, wie ihn Erhart erworben hatte. Kauf und Renovierung waren sicher mit erheblichen Kosten verbunden, und man staunt, dass ein Holzschnitzer sich beides leisten konnte. Doch zur Finanzierung trug die Tochter Sophie nicht unwesentlich bei. Sie hatte nämlich gemeinsam mit ihrer Schwester Josefa das oben erwähnte Laubenhaus von ihrem 1899 verstorbenen Großvater Jakob Kofler geerbt und nicht zufällig im Februar 1908 an Johann Mahlknecht verkauft. Ihr Anteil aus dem Erlös floss zweifelsfrei in den Kauf und Umbau von Pflanzenstein.
Schenkungsvertrag
Die Ordensgemeinschaft der Pallottiner kam – wie schon erwähnt – im Schenkungswege in den Besitz von Pflanzenstein. Der Vertrag wurde am 4. Dezember 1941 vor dem Notar Dr. Giulio Andreis in Meran abgeschlossen, von der Präfektur Bozen am 20. März 1943 genehmigt und am 3. Juli 1943 in Meran registriert. Unterzeichnet ist das Dokument von Sofia Erhart und von Pater Giovanni Weber, wohnhaft in Terlago (TN), als Sonderbevollmächtigter des italienischen Mutterhauses der Pallottiner in Rom. Die Schenkung umfasst neben zwei Wohngebäuden noch 7.952 m² Wiese, 7.710 m² Weinacker, 101 m² Garten und 7.550 m² Wald. Zwecks Besteuerung wird die Liegenschaft im Vertrag auf insgesamt 140.000 Lire, bei der Genehmigung durch den Präfekten auf 281.000 Lire geschätzt. Die Besitzübergabe war an keine Bedingung gebunden, also eine Schenkung im wahren Sinne des Wortes, denn Sophie Erhart hat sich weder Fruchtgenuss noch Wohnrecht vorbehalten. Über die Beweggründe ihrer Schenkung ist nichts bekannt. Ledig und kinderlos, war die 61-Jährige sicher mit der Bewirtschaftung des Ansitzes und Hofes weit überfordert und hatte dessen unvermeidlichen Niedergang vor Augen. Wann sie die Pallottiner Patres kennengelernt hat, ist ebenso ungewiss. Möglich wäre eine Begegnung im November 1939, als in der Pfarre Mais eine Missionserneuerung in Form einer Eucharistischen Woche stattfand, bei der ein Pallottiner Missionar die Vorträge hielt.
Die Inhaberin des einstigen Adelssitzes fiel durch ihre Tierliebe vor allem zu Hunden auf, von denen sie sich jahrelang eine ungewöhnliche Anzahl hielt. Von etwa sieben Stück geht die Rede. Dies brachte ihr von den Nachbarn den Titel „Hundsgräfin“ ein. Ältere Obermaiser erinnern sich noch an den wenig schmeichelhaften Übernamen.